Auf der Heiratsurkunde meines Großonkels Hans Otto Redecker stach mir ein Wort besonders ins Auge. Unter dem Punkt „Konfession“ ist dort nicht „evangelisch“ oder „katholisch“ notiert, sondern „gottgläubig“. Was bedeutet das? Zuerst dachte ich an eine Freikirche oder Sekte. Bei der Recherche im Internet kam jedoch etwas anderes heraus: Die Bezeichnung „gottgläubig“ wurde durch Erlaß des Reichsministers des Innern vom 26. November 1936 anstelle der Ausdrücke „Dissident“ oder „konfessionslos“ offiziell in Deutschland eingeführt und zur Angabe der Religionszugehörigkeit vorgeschrieben. In öffentlichen Listen, Vordrucken und Urkunden hatten die Bürger die Wahl zwischen drei Kategorien:

  1. Angehörige einer Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft (also evangelisch-lutherisch, römisch-katholisch, etc.)
  2. Gottgläubige oder
  3. Gottlose.

Als „gottgläubig“ galt, wer sich von der Kirche als Institution abgewandt hatte, aber dennoch an Gott glaubte.

Ohne Kirche aber nicht ohne Gott

Ziel der Einführung des neuen Begriffs war es, konfessionslosen Nationalsozialisten (die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft galt im Nationalsozialismus nicht gerade als karrierefördernd) die Möglichkeit zu geben, dennoch als „gläubig“ aufzutreten.

Die große Mehrheit der Deutschen war in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhundert allerdings Mitglied der Amtskirchen und blieb dies auch während des Nazi-Regimes. Bei der Volkszählung 1939 gaben 95 Prozent an, Mitglied einer der christlichen Kirchen zu sein. Von den verbleibenden 5 Prozent bezeichneten sich etwa 3,5 Prozent als gottgläubig und circa 1,5 Prozent gaben an, glaubenslos zu sein.

Mein Großonkel trat bereits 1931 aus der evangelischen Kirche aus, mit 31 Jahren. Damals hatte er gerade ein Musikstudium beendet und begann seine Karriere als Kulturredakteur bei den „Westfälischen Neuesten Nachrichten“ in Bielefeld. Was ihn zum Austritt bewog ist heute nicht mehr nachzuvollziehen, politische Gründe schließe ich aber aufgrund des Zeitpunkts 1931 aus.